Der Fastnachtsgottesdienst
Am Morgen des Fastnachtssonntags schwingt über der Stadt noch die Atmosphäre des zurückliegenden Fastnachtssamstags und einer durchfeierten Nacht; zugleich aber spürt man Vorbereitung und Vorfreude auf den kommenden Tag mit seinen vielen fastnachtlichen Höhepunkten wie der närrischen Parade, den Umzügen in verschiedenen Stadtteilen und den letzten Sitzungen. Von allen Seiten strömen Gardisten in „voller Wichs“ und närrisch maskierte Zivilisten Richtung Haupteingang des Doms. Sie alle erwartet ein ganz besonderer Gottesdienst.
Die Idee zu einem gemeinsamen Gottesdienst aller Mainzer Garden wurde 1995 geboren. Am Rosenmontag dieses Jahres wiederholte sich zum fünfzigsten Mal ein für Mainz verhängnisvolles Datum, fiel doch am 27. Februar 1945 das einstmals „Goldene Mainz“ dem Kriegswahnsinn und den Bomben des Zweiten Weltkrieges zum Opfer und wurde fast vollständig zerstört.
In Erinnerung an dieses Ereignis entstand bei der damaligen Ortsvorsteherin Mainz-Altstadt der Gedanke, auch in der Zeit überschwappender Lebensfreude einen Moment der Stille und des Dankes einkehren zu lassen. So kam es am Fastnachtsonntag des Jahres 1996 im Hohen Dom zu Mainz erstmals zur Feier eines Gottesdienstes unter Beteiligung der Fastnachtskorporationen und –vereine. Ermöglicht wurde dies durch die Unterstützung und das Verständnis des damaligen Domkapitulars und heutigen Domdekans Prälat Heinz Heckwolf und einer kleinen Schar gläubiger und engagierter Fastnachter. Zu nennen sind hier vor allem die Generalfeldmarschälle der Mainzer Prinzen- sowie Ranzengarde.
Fand im ersten Jahr nur eine überschaubare Schar gläubiger Gardisten den Weg zum Dom, so ist die Kathedrale heute mit Beginn des Gottesdienstes bis in den Ostchor hinein bis zum letzten Platz besetzt. Die zu spät Gekommenen müssen mit Stehplätzen in den Seitenschiffen Vorlieb nehmen. Mittlerweile hat sich am frühen Morgen des Fastnachtsonntags eine eigene, ruhige Tradition in der Fastnacht entwickelt, die in dieser Form einmalig in ganz Deutschland ist, fernab vom Bedürfnis nach Rampenlicht und vordergründiger Anerkennung. Hier finden die Fastnachter ihr Refugium und ihre Insel, aber auch ihren Ausdruck, Gott für das Geschenk Mainzer Fastnacht zu danken, wohl wissend, dass es ohne Kirche und Christentum auch keine Fastnacht gäbe.
In den Gottesdienst geleitet werden die Zelebranten von einer beeindruckenden Fahneneskorte aller Mainzer Garden, musikalisch begleitet vom Domorganisten und der Regimentskapelle der Mainzer Prinzengarde. Alle liturgischen Aufgaben werden von Vertretern der Garden übernommen, beginnend bei den Messdienern über die Lektoren und Fürbitten, Kommunionhelfer bis hin zu den Konzelebranten des Domdekans. Der Gardegottesdienst strahlt Jahr für Jahr eine intensive Atmosphäre aus, der sich kein Gläubiger beziehungsweise Gottesdienstbesucher entziehen kann: „Christsein und Humor, Christsein und Lachen – das gehört zusammen“ hatte Domdekan Heckwolf 2008 so treffend festgestellt.
Text: Dr. Dieter Degreif