Herkunft des „Helau"
Während der Fastnacht ist der Narrenruf Helau in Mainz allgegenwärtig. Doch was verbirgt sich hinter dem Wort? Ein Hallelujah auf den Antichrist vielleicht? Gehen wir auf Spurensuche.
Ohne den Narrengruß geht am Rosenmontag gar nichts.
Die Kölner haben ihren Narrenruf „Kölle alaaf“ sprachgeschichtlich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt und ihn inzwischen als frühen Trinkspruch identifiziert, der im Lauf der Zeit zum allgemeinen Hochruf auf Köln und die Kölner wurde. In Mainz – und nicht nur dort – tut sich die Wissenschaft bei der Suche nach den Wurzeln des populärsten deutschen Narrenrufes „Helau“ noch immer schwer.
Dass „Helau“ heute immer wieder fälschlich mit doppeltem L geschrieben wird, könnte an der ersten Belegstelle des Wortes aus dem Jahr 1603 hängen. „Hellau und a luckh drau, / Mir ist wohl wie der dicksten Sau“, hieß es damals angeblich zu Fasching in Tirol. Es ist eine der wenigen Quellen, in denen das Wort auftaucht. Klanglich erinnert es an Kinder- oder Hirtenrufe wie Holla oder Hallo, auch an das englische Hello, das in jenen frühen Jahren des 19. Jahrhunderts populär wurde, als der Karneval zu seiner organisierten Form fand.
Die Mainzer Narren lernen 1935 den Narrenruf in Düsseldorf kennen
1833 tauchte das Wort so auch bei einem Maskenspiel in Düsseldorf auf, wo man die „Verlobung des Hanswursten unter Helau und Habuh mit Anna Dorothea Petronella Weichbusen“ feierte. Dort auch lernten die Mainzer Obernarren 1935 den Narrenruf bei einem offiziellen Besuch kennen. Bei einem vom Düsseldorfer Verkehrsverein organisierten und von den Nationalsozialisten besonders gern gesehenen Treffen, das der Idee der Volksgemeinschaft Rechnung tragen sollte. Mainz nämlich galt den Nationalsozialisten damals neben München, Köln und Düsseldorf als eine Art närrische Modellstadt, weshalb man im gleichen Jahr auch eine Delegation aus Würzburg an den Rhein schickte, um das fastnachtliche Handwerk zu erlernen und anschließend nach Mainzer Muster am Main eine eigene Sitzung zu organisieren. Die übrigens wurde zum Flop, jedes zweite Eintrittsticket mangels Nachfrage als Freikarte verschenkt.
Mit lauten Helau-Rufen waren die Düsseldorfer Narren im Rahmen dieser nationalsozialistisch inspirierten Treffen 1935 auch in Mainz eingezogen, wo man bis dahin meist nur „Hoch“ oder in den Sitzungen auch gern „Bravo“ oder „Vivat“ rief. „Düsseldorf erobert Mainz“, titelten damals die „Düsseldorfer Nachrichten“. Prinzengarde, Ranzengarde und die Kasteler Jokusgarde hatten die Gäste vom Niederrhein empfangen und sie zu ihrem Hotel geleitet. Abends gab es eine große Gemeinschaftssitzung in der Stadthalle, die man als die Wehen des Mainzer Helaurufes werten kann. Mit dabei waren die Reichssender Frankfurt und Stuttgart, welche die Sitzung mit Seppel Glückert als Protokoller im Radio übertrugen.
1937 ist Helau etabliert
Ein Jahr später wurde der neue Narrengruß in Mainz sozusagen offiziell vom damaligen MCV-Präsidenten Heinrich Bender propagiert – gegen den Widerstand des MCC-Präsidenten Jakob Wucher, wie man munkelte, der damals für „Juchhei“ plädiert habe. Wie auch immer: Das Helau war neuer Mainzer Narrenruf, der sich schnell durchsetzte und spätestens 1937 nicht mehr wegzudenken war. „Lange bevor der eigentliche Zug zu sehen war, tauchten in den verschiedenen Straßen phantasievolle Masken auf, die mit lauten Helau-Rufen begrüßt wurden“, notierte der „Mainzer Anzeiger“ am 9. Februar. Beim Zug selbst sei der Ruf schließlich aus vielen Tausend Kehlen erschallt und am Komiteewagen des MCV stand groß: „Frisch auf zur Fahrt, du glückhaft Narrenschiff, Helau, fahr froh ins Hundert ein“ – ein Hinweis auf das Jubiläum zum 100. Jahrestag der Mainzer Fastnacht im Folgejahr. Über das Helau und seine Herkunft ist seitdem viel spekuliert worden.
Die angebliche rheinländische Legende, über einen bewaffneten Konflikt zwischen Kölner Bürgern und Mainzer Kaufleuten, die besagt, dass ein Handelsschiffer im Streit um die Abgaben aufgrund des Stapelrechts rief "Ich will he lau fahrn!" ist in der seriösen Fastnachtsforschung nicht bekannt.
Verballhornung von Halleluja?
Der Blick in die Kirchengeschichte könnte hier weiter bringen. Vielleicht nämlich handelt es sich bei Deutschlands populärstem Narrenruf nur um die Verballhornung eines anderen Hochrufes, nämlich des Halleluja. Das zumindest legen neueste Erkenntnisse nahe, die sich auf die Auswertung bislang in der Fastnachtsforschung nicht beachteter Quellen stützen.
So findet sich Hallelujah, das Wort für die Lobpreisung Gottes, fast zwei Dutzend mal in den Psalmen des Alten Testaments – und ein paarmal taucht das hebräische Hallelu-Jáh auch im Neuen Testament auf. Genauer in der Offenbarung des Johannes, die dem Untergang Babylons gewidmet ist. Jener Stadt, die nach der mittelalterlichen Narrenidee das Reich der Narren verkörperte.
Lobpreisung nur zu Ostern
Anfangs wurde das Halleluja nur zu Ostern gesungen, ehe es fast das ganze Jahr über die Liturgie bereicherte. Spätestens zu karolingischen Zeiten aber entfernte man den Lobpreis Gottes aus den Gottesdiensten der Fastenzeit. Zu der gehörte damals auch eine Vorfastenzeit, die der am Aschermittwoch beginnenden fleischlosen Fastenzeit vorgeschaltet war. Sie sollte den Übergang von der festlichen Weihnachtszeit, die früher bis Mariä Lichtmeß währte, in die von Buße und Einkehr bestimmte eigentliche Fastenzeit erleichtern.
Diese Vorfastenzeit begann am neunten Sonntag vor Ostern, den die Kirche Septuagesima nennt. In der katholischen Kirche gab es sie offiziell bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, seither nur noch in Form außerordentlicher Riten. In der evangelischen Kirche, wo sie Vorpassionszeit heißt, wurde sie – weil sich Weihnachtszeit und Vorfastenzeit wegen des variablen Ostertermins manchmal überschneiden konnten – erst vor kurzem neu geregelt.
Halleluja auf den Antichristen?
Wie schmerzvoll einst der Abschied vom Hallelujah war, das erst wieder in der Osternacht erklingen sollte, zeigten die im Lauf der Zeit immer feierlicher werdenden Abschiedsfeiern. Richtig theatralisch verabschiedete man es etwa im 15. Jahrhundert im französischen Toul. Dort organisierten die Chorbuben eine Prozession, in deren Rahmen sie einen Sarg mit dem symbolisch gestorbenen Halleluja beerdigten. In Chartres peitschten die Kinder zwölf Kreisel aus dem Chor der Kirche auf den Vorplatz und vertrieben so symbolisch den Lobgesang. Und in Paris trug man eine mit „Alleluia“ beschriftete Strohfigur aus der Kirche auf den angrenzenden Friedhof, wo sie anschließend unter letzten Alleluja-Rufen verbrannt wurde. Teilweise sollen im Rahmen dieser Praktiken auch Teufel und alte Weiber, die im Volksglauben mit dem Höllenfürsten im Bunde waren, in Erscheinung getreten sein.
Bis in die frühe Neuzeit jedenfalls gab es diese Abschiedszeremonien, die mitten in die närrische Zeit fielen und ersten närrischen Rufen auch bei uns Pate gestanden haben könnten. Ideengeschichtlich hätten sie Sinn ergeben, war der Narr im Mittelalter als Leugner Gottes doch immer auch blasphemisch. Warum sollte er sein eigenes Fest und seine Repräsentanten nicht auch mit jenen Worten hochleben lassen, die einst nur Gott verherrlichten? Das Helau wäre so betrachtet das Halleluja auf den Antichristen, verkehrte Welt in Größe XXXL.
Keine Beweise, aber Indizien
Beweise dafür wird es vorerst keine geben. Nur Mutmaßungen, wie alte Bräuche zum Beispiel im Eifel-städtchen Blankenheim nahelegen, wo seit vielen hundert Jahren Fastnacht gefeiert wird. „Juh-Ja, Juh-Ja, Kribbeln in d’r Botz! Wer dat net hät, dä es nix notz“, heißt es dort heute noch beim traditionellen Geisterzug am Vorabend des Karnevalssonntags. Auch das früher im Rheinland weit verbreitete Fastnachtslied mit der Eingangszeile „Ajuja, Ajuja, jetz’ geiht et widder Ajuja, jetz’ geiht et loss“, nährt den Verdacht, dass unser heutiges Helau aus dem hebräischen halalû, das zum Halleluja wurde, verballhornt sein könnte – ganz ähnlich vielleicht wie das lateinunkundige Kirchenvolk die einst im Gottesdienst mit den Worten „Hoc est enim corpus meum“ („Das ist mein Leib“) gefeierte Wandlung des Brotes in den Leib Christi als Hokuspokus abtat.
Text: Günter Schenk - veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz am 09.02.2019, mit Genehmigung geändert